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Gewaltprävention im öffentlichen Raum

Christian Vielhaber

Der Gedanke, dass Gewalt auch Raum beansprucht, äußert sich im Alltag sichtbar in der Problemstellung „umkämpfter Räume“. Besonders augenscheinlich zeigt sich das in urbanen Räumen, wenn Kinder und Jugendliche ihre räumlichen Ansprüche deklarieren und auch einfordern. Das führt natürlich zu Auseinandersetzungen um die Nutzung und Bedeutung dieser Räume. Selbstverständlich haben diese Auseinandersetzungen gesellschaftspolitische, wirtschaftliche aber auch soziale Hintergründe. Welcher Konflikt auch immer vorrangig sein mag, es herrschen sehr klare  Asymmetrien der Machtverteilung der einzelnen betroffenen Gruppen, wobei Kinder und Jugendliche wohl zumeist zu jenen gehören, die mit unzureichenden Machtmitteln ausgestattet sind.

Das eigentliche Problem im Kampf um Räume ist der Widerspruch zwischen den deklarierten Willensbezeugungen der politischen Entscheidungsträger kinder- und jugendgerechte Umfelder und Aktionsräume auch in Städten umzusetzen und der nachweisbaren Aktualität der machtvollen Durchsetzung jener Raumproduktion, die eher neoliberale Machtverhältnisse dokumentiert. In Bezug auf die aktuelle Raumproduktion in Städten können wir also zusammenfassen: Trotz des Engagements gegen die Gewalt an Kindern und Jugendliche, das von Politik und Öffentlichkeit gleicher Maßen aufgegriffen und vordergründig zu einer Maxime der öffentlichen Meinung und des öffentlichen Handelns weiterentwickelt wurde, findet diese gesellschaftspolitische Orientierung kaum einen nennenswerten Niederschlag, wenn es um raumbezogene Widmungen und Zuordnungen geht. Diese werden fast immer gegen die Interessen von Kindern und Jugendlichen durchgesetzt.

Im alltäglichen Diskurs wird sehr rasch deutlich, dass Gewalt vor allem unter Berücksichtigung individueller, familiärer, therapeutischer, institutioneller oder gesellschaftlicher Aspekte erörtert wird. Räumlichen – oder besser gesagt – territorialen Aspekten wird erstaunlicher Weise kein nennenswerter Stellenwert zuerkannt. Erstaunlich insofern, weil bestehende präventive Strategien davon ausgehen, dass der Phänomenbereich „Raum und Gewalt“ durch eine deutliche gegenseitige Abhängigkeit der beiden Komponenten gekennzeichnet ist.

Wir sprechen von Parkbetreuung, von Streetworkern, etc., sprechen also spezifische Raumkonstrukte an, die offensichtlich befriedet werden sollen, denn Parkbetreuung heißt nicht, dass ein Park betreut wird, sondern soziale Interaktionen angemessen geregelt werden sollen. Ebenso heißt Streetworker nicht Straßenarbeiter sondern zielt auf Personen, die sich jener Menschen annehmen, für die Straße als öffentlicher Raum ein wichtiges Residuum ist.

Interessant erscheint in diesem Zusammenhang, dass in der öffentlichen Meinung diese institutionalisierten Betreuungsfunktionen quasi ausschließlich dazu da sind, um Kinder und Jugendliche in den Griff zu bekommen und die Einflussnahmen der Erwachsenen, die sich natürlich auch gewalttätig äußern können, außen vor gelassen werden. Dabei ist gerade der Anspruch der Erwachsenen an öffentliche Räume der Anlass für Konflikte, weil die Möglichkeiten, die gleichsam in den Räumen stecken, auf Grund einer vergleichsweise anderen Rationalität der Jugendlichen, anders gedeutet und umgesetzt werden. Das birgt natürlich Zündstoff, nicht zuletzt deshalb, weil die Raumnutzungsvorstellungen von Erwachsenen im Vergleich zu Jugendlichen vielfach profitorientiert sind.

Das Räumliche bleibt für Jugendliche ein Medium ihrer Erlebniserwartung, wobei Räume auch konstruktivistisch erschlossen werden können. Das bedeutet, dass ein verfügbares Angebot uminterpretiert wird und anders genutzt, als es den erwachsenen Nutzern und den Initiatoren von Nutzungsvorstellungen Recht ist. Dadurch kann es zu Interessenskollisionen kommen, die unter bestimmten Umständen den Kern gewalttätiger Auseinandersetzung in sich bergen.

Verhängnisvoller Weise liefert die soziale Realität eine Fülle von Gelegenheiten, wo es zu einem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessen kommt. Aus räumlicher Perspektive betrachtet, spielt die spezifische Identitätsbildung, die letztlich in einer quasi territorialen Aneignung gipfelt (= Das ist mein Park.) eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, Ansprüche durchzusetzen. Regionale Identitätsbildung entwickelt sich umso nachhaltiger, je weniger Optionen von räumlichen Alternativen zur Verfügung stehen. So können nahe und vertraute Räume Sicherheit und Zusammenhalt signalisieren, die in einer „taken for granted world“ , ihre Erfüllung finden, als Teil eines ganzheitlich gelebten Raumes, der noch mit der Lebenswelt eine Einheit bildet.

Die sozialräumliche Praxis in Bezug auf die Aneignung von Räumen lehrt uns also, dass vor allem die mögliche eigene Inszenierung zur Identitätsbildung beiträgt. Diese Inszenierungen gewinnen umso mehr an Bedeutung, wenn sie milieuspezifische Gemeinsamkeiten produzieren. Das dadurch erreichte Wir-Gefühl ist teilweise auch raumgebunden und dadurch verspüren die Menschen, die diese Orte konstruieren territoriale Verlustängste, die sie durch eine entsprechende Abwehr und Verteidigungsbereitschaft kompensieren.

Diese soziale Gruppe ist sicherlich stärker gewaltgefährdet als jene, die nicht mehr in Milieus leben, die auch räumlich vorbestimmt, beengt und begrenzt sind. Wenn also die Ursache aggressiven Verhaltens in territorialen Verlustängsten liegt, die jene Orte betreffen, die emotional hoch aufgeladen sind, dann bedeutet Prävention Gegensteuerung durch die Präsentation von neuen Optionen. Das können sowohl Raum- wie Aktivitätsoptionen sein, die dann akzeptabel erscheinen, wenn die Bedeutung des Raumes für dort verankerte Zielgruppen richtig erkannt wird.

Dieses Eingehen bedeutet auch ein „Ernst nehmen“ von Rechten, die Jugendlichen zweifelsohne zustehen. Dadurch wird natürlich ihr Selbstwertgefühl gehoben, und wir wissen, dass Anerkennung, die dadurch ausgedrückt wird, eindeutig gewaltmildernd wirkt. Das bedeutet, dass jede Art von Dramatisierung, im Bezug auf Raumaneignung in verankerten Lebenswelten, die den normalen Vorstellungen nicht entsprechen, kontraproduktiv ist. Vielmehr gilt es situationsbezogen auf die Nutzer öffentlicher Räume einzugehen und zwar reichen meist relativ unaufwendige Strategien, um Erfolge in Bezug auf Aggressions- und Gewaltminderung zu erzielen:
:

  • Zuhören,

  • Ansprechpartner sein,

  • Diskussion zulassen,

  • punktuelle Kontrolle und Aufsicht einrichten

 

Zentrales Ziel all jener, die an Gewaltprävention interessiert sind, sollte es daher sein, Menschen, die räumlich fest verankert sind, nicht aus ihren als sicher  und vertraut wahrgenommenen Aktionsräumen zu verdrängen. Dies vor allem deshalb, weil sie keine alternativen Lebenswelten aufbauen können, aufgrund jener struktureller Rahmenbedingungen, denen sie ausgesetzt sind. Die Beispiele entankerter Lebenswelten zeichnen sich hingegen durch räumliche Vielfalt aus. Für diese Menschen gibt kein ausdrückliches Verwiesensein auf einen bestimmten Ort und daher kann gewaltbereiten Akteuren meist problemlos aus dem Weg gegangen werden, durch Raumvermeidung und Aneignung neuer meist funktional definierter Lebenswelt-Inseln.

Was wäre  jetzt – gleichsam als Ausblick – zu tun, um aggressionsbetonten Handlungsmustern im öffentlichen Raum gegenzusteuern. Prinzipiell geht es darum, Risikofaktoren, die im Bereich des Räumlichen liegen, zu erkennen und durch räumliche und soziale Angebote Gewalt mindernde Maßnahmen zu setzen. Dazu ist es vor allem notwendig, Kindern und Jugendlichen, die ja Räume entsprechend ihrer eigenen Bedürfnisse wahrnehmen und beleben, mit Empathie zu begegnen und ihr Recht auf Raumaneignung anzuerkennen. Das bedeutet konkret:
 

  • Hinschauen statt Wegschauen.

  • Beziehungsangebote unterbreiten statt Ausgrenzungen und Stigmatisierungen zuzulassen.

  • Vorbeugende Unterstützung statt nachträgliches intervenieren.

  • Nicht glauben, ohnehin zu wissen was Not tut, sondern die Betroffenen einbeziehen und fragen was gebraucht wird.

 

Die Perspektive verordneter Raumnutzung primär zu Gunsten von Erwachsenen ist keinesfalls ausreichend, um auch den legitimen Raumansprüchen von Kindern und Jugendlichen gerecht zu werden. Diese Gruppe ist bereits all zu lange ohne echte Mitsprache geblieben. Ein Schritt in die richtige Richtung wäre es jedenfalls, die Möglichkeiten zur differenzierten Raumkonstruktion zu entdecken, und das geht nicht durch Diktate von oben nach unten sondern nur unter Einbeziehung aller Beteiligten, das heißt auch der Jugendlichen selbst.

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